Spuren der Deutschen Schulen: Siedlung Neutiflis in den Jahren 1818-1925

(abgekürtzte und überarbeitete Fassung des in 2018 im Buch "Kalendula und der blaue Knof" veröffenlichten Artikels)


Neutiflis wurde 1818 in der unmittelbaren Nachbarschaft des heutigen David-Agmaschenebeli-Prospektes gegründet. Am Anfang bauten die sich neu ansiedelnden Schwaben Erdhütten. In einer dieser Hütten wurde eine Kirche und eine Sonntagsschule eingerichtet, deren erster Lehrer Johannes Haldner war. Er las den Schülerinnen und Schülern jeden Sonntag zunächst Predigten vor, unterrichtete sie später aber auch in Lesen und Schreiben, Singen und Rechnen. Nur neun Monate nach der Ansiedlung der Deutschen wurde die St. Petri-Pauli-Schule gegründet, die über ein Jahrhundert lang existierte und eine wichtige Rolle in dem kulturellen Leben der deutschen Gemeinde in Tiflis spielte.

Der Aufbau und die Entwicklung der St. Petri-Pauli-Schule ist eng mit dem Namen von Matheus Schwarz verbunden, der hier ab 1864 unterrichtete. Er erhielt seine pädagogische Ausbildung in Württemberg, und zwar im Lehrerseminar von Tempelhof und als er in Georgien kam, war er schon ein erfahrener Lehrer. Matheus Schwarz war nicht nur ein begabter Pädagoge, sondern engagierte sich darüber hinaus auch für die Entwicklung der Schule. Zu seiner Zeit wurden neue Fächer in den Lehrplan aufgenommen: Geschichte, Landeskunde, Geometrie, Naturwissenschaft und Zeichnen. Außerdem stieg die Nachfrage, und es waren nicht mehr nur Deutsche, die in diese Schule aufgenommen werden wollten.

Sonntagsschulen wie die St. Petri-Pauli-Schule gab es in fast allen deutschen Siedlungen. In den Schulen unterrichteten Pfarrer oder Gastlehrer. Die Schulen wurden vom Schulpastor und einem weltlichen Lehrer gemeinsam verwaltet. Jedoch konnte der Pastor in Zeiten des Personalmangel zusätzlich auch Funktionen des Lehrers übernehmen und umgekehrt: die Schullehrer waren auch berechtigt, Gottesdienste zu halten.

Die Lehrer waren voll ausgelastet. Sie mussten Chöre leiten, während der Liturgie Orgel spielen, die Sonntagsschule verwalten, dem Pastor während der Beerdigungen und den zu Hause stattfindenden Taufen assistieren sowie die Schulbänke streichen, Lampen reinigen usw.

Die Schule von Neutiflis befand sich in einem bescheidenen Haus, in dem sowohl das Klassenzimmer als auch die Wohnzimmer der Lehrer untergebracht waren. Mit der Zeit reichte der Platz nicht mehr für die Durchführung des Unterrichts. Durch die wachsende Zahl der Schulfächer und Pädagogen wurde eine Schulerweiterung immer drängender. Im Oktober 1878 wurde das neue Gebäude der St. Petri-Pauli-Schule feierlich eröffnet. Die Rolle der Gemeinde in dem Kirch- und Schulleben war erheblich. Die Arbeit der Schule (und auch anderer deutschen Kultureinrichtungen) wurde zum grossen Teil ausschließlich durch Gemeindespenden ermöglicht. Auf Initiative von Friedrich Wetzel, eines in Tbilissi wohnenden Unternehmers, wurde ein Verband gegründet, dessen Ziel es war, ärmeren Schülern zu helfen und für sie die Schulgebühren und die für Bücher und, wenn nötig, auch für Kleidung notwendigen Gelder zu sammeln, um den Kindern die Schulausbildung zu ermöglichen. Friedrich Wetzel besaß eine eigene Brauerei, ein Hotel, Häuser in Tiflis und Umgebung und gehörte zur 2. Gilde der Händler. Er war sogar ein Mitglied des Stadtrates. Sein Engagement war keine Ausnahme.


Die Bedeutung des Ausbildungssystems für die deutschen Gemeinden in Georgien und im Südkaukasus

Im Russischen Kaiserreich des 19. Jahrhunderts spielte für die Deutschen die Bewahrung ihrer Sprache und die Schaffung von Bildungsmöglichkeiten für ihre Kinder eine wichtige Rolle. Es gab in allen Siedlungen deutsche Schulen mit einem zweijährigem Schulprogramm. Die Schulen waren mit der lutherischen Kirche verbunden und wurden aus Gemeindemitteln finanziert.

Ursprünglich hatten die Schulen in den Siedlungen keinen einheitlichen Lehrplan. 1832 fand jedoch ein Kongress der Südkaukasischen kirchlichen Synode statt, auf dem ein einheitliches Lehrprogramm für alle Schulen beschlossen wurde. Es sollte sich an dem im Württemberger Königreich geltenden Ausbildungssystem orientieren, aber auch die im Russischen Kaiserreich für die Schulen geltende Gesetzgebung berücksichtigen, in der seit 1870 mit der Politik der „Russifizierung“ auch die Intensivierung der nationalen Sprache gefordert wurde. Gleichwohl versuchten die Deutschen in ihren Schulen den deutschsprachigen Unterricht aufrechtzuerhalten. Das war jedoch nicht einfach, da im Falle der Fortsetzung der Ausbildung nach der Primärschule der Schüler oder die Schülerin keine andere Wahl als den Besuch einer russischen Mittel- oder Hochschule hatte.

Vertreter der deutschen Gemeinden hatten die vom russischen Ausbildungssystem ausgehende Gefahr schon in den 1860er Jahren erkannt und begonnen, sich auf die Gründung eines deutschen Realgymnasiums in Tbilissi vorzubereiten. Das Gymnasium sollte zu einem Gegengewicht der Russifizierungspolitik werden: Nach der Primärschule sollten in Georgien lebende Deutsche die Mittlere Reife in einer deutschsprachigen Umgebung erreichen können, was ihnen seinerzeit den Weg zum Studium eröffnet hätte. Das begriffen damals nur wenige, so dass die Idee der Gründung des Gymnasiums zunächst scheiterte.

Ab Ende des 19. Jahrhunderts erfolgte der Unterricht in den deutschen Schulen der Siedlungen schon ausschließlich in russischer Sprache. Zu dieser Zeit wurde die Verwaltung der Schulen der evangelisch-lutherischen Kirche entzogen und dem Ministerium für Volksbildung unterstellt; auch die Lehrpläne wurden geändert. Das neue Schulprogramm war überwiegend an russischer Geschichte und anderen russlandbezogenen Themen orientiert. Die deutsche Gemeinde brauchte ein starkes Schulsystem, um die eigene Sprache und damit die eigene Identität zu bewahren. Es ging um die Durchführung von zwei Projekten gleichzeitig.

Erstens war das, die Frage der Umgestaltung der St. Petri-Pauli-Schule in eine Lehranstalt höherer Stufe seit Anfang des Jahrhunderts aktuell geworden. Die gescheiterte Revolution von 1905 und die Verschärfung des politischen Regimes die sog. „Schwarze Reaktion”, verzögerte diese Initiative. Doch 1906 billigte der Gemeinderat die Schaffung eines Finanzausschusses, der die Schule und die Umstrukturierungsvorhaben finanziell unterstützen sollte. Die Spendensammlung und die Bearbeitung des Konzeptes, dauerte fast 5 Jahre und endlich, im Jahre 1912, wurde die St. Petri-Pauli-Schule zu einer Elementarschule (Volksschule) umgebaut mit 4 Grundschulklassen.

Im Jahr 1915 folgte auf Pastor Schleuning, der die Schule verließ, Oberpastor Richard Mayer, der große Verdienste bei der Gründung des Deutschen Realgymnasiums erwarb. Im Gedächtnis der Zeitgenossen ist die deutsche Schule „Mayers Schule“.

Gleichzeitig forderte und verhandelte man in der deutschen Gemeinde immer aktiver die Notwendigkeit der Gründung eines deutschsprachigen Gymnasiums der mittleren Stufe, die erst 1918 möglich wurde. Bis dahin durchlebten die deutschen Gemeinden in Georgien schwere Zeiten. Während des Ersten Weltkrieges war die deutsche Sprache verboten; in der Öffentlichkeit durfte kein Deutsch gesprochen werden, deshalb unterhielt man sich mit den Kindern auch in den Familien auf Russisch. Die Situation änderte sich erst nach der Februarrevolution von 1917. Im Russischen Kaiserreich wurde die Monarchie abgeschafft und allen Nationen des ehemaligen Imperiums die Rechte auf Selbstbestimmung und Eigeninitiative gewährt.

Im März 1918 wurde in Brest-Litowsk ein „Separatistischer Friedensvertrag“ zwischen Deutschland, Österreich-Ungarn, dem Osmanischen Reich und Sowjetrussland geschlossen. Damit schied Sowjetrussland als Teilnehmer des Ersten Weltkrieges aus. Mit diesem Vertrag begann eine neue Etappe der deutsch-georgischen Beziehungen. Unter Führung des Generalmajors Friedrich Kreß von Kressenstein, dem Befehlshaber der deutschen Militärmission im Südkaukasus, wurde Georgien kurzzeitig deutsches Protektorat.

Nachdem Georgien 1918 die nationale Unabhängigkeit erklärt hatte, gründeten die im Südkaukasus lebenden Deutschen einen Deutschen Nationalrat. Dieser besaß ein eigenes Presseorgan, die Zeitung „Kaukasische Post“. Die bereits 1906 gegründete Zeitung konnte während des Ersten Weltkrieges nicht erscheinen und wurde erst 1918 wieder ins Leben gerufen. Diese Zeitung veröffentlichte interessante und umfangreiche Informationen über das Leben der Deutschen in Georgien, unter anderem auch zu den Themen Schule und Ausbildung.

Außer der Zusammenarbeit in militärischen und politischen Bereichen konzentrierte sich die deutsche Delegation auf die deutsch-georgischen Kulturbeziehungen. Gerade in dieser Zeit begann der Bau des deutschen Krankenhauses und eine Aktivphase der deutsch-georgischen Kulturgesellschaft. Georgien war offen für eine unmittelbare und enge Zusammenarbeit mit Deutschland. Im Juli 1918 fand eine Vollversammlung der Gemeinde statt, auf der die Frage der Gründung einer deutschen Sekundarschule in Tbilissi besprochen werden sollte. An dieser Erörterung nahmen der Kirchenrat und ein Spezialausschuss teil.

Es herrschte die Meinung vor, dass die Eröffnung eines deutschen Gymnasiums, trotz der noch vagen politischen Lage, doch zweckmäßig sei, nicht zuletzt, weil in Tbilissi inzwischen schon mehrere Gymnasien existierten, ein griechisches, ein jüdisches, ein armenisches, ein georgisches und ein polnisches. Man war überzeugt, dass die deutschen Kinder die Möglichkeit haben müssten, die Schulausbildung in ihrer Muttersprache zu erhalten. Die Schule sollten Mädchen und Jungen gemeinsam besuchen, weil durch den sozialen Wandel den Frauen dieselben Rechte und Pflichten gewährt wurden, die vorher nur den Männern vorbehalten waren. Man plädierte für ein gemischtes Schulmodell, und zwar sowohl in nationaler Hinsicht als auch hinsichtlich des Alters. Die Schule sollte ein klassisches Gymnasium sein, mit organisch steigenden Klassenstufen.

Bald bildete die evangelisch-lutherische Kirchengemeinde einen speziellen Schul- bzw. Gymnasiumsausschuss, der in Vereinbarung mit dem südkaukasischen Deutschen Nationalrat beschloss, in Tbilissi ein Gymnasium zu gründen. Am 24. Juli 1918 richtete die evangelisch-lutherische Kirchengemeinde ein entsprechendes Gesuch an das Ministerium für Volksbildung der Georgischen Demokratischen Republik. Diesem Antrag gab die Regierung am 22. August 1918 statt. Das deutsche Realgymnasium wurde am 15. Oktober 1918 mit dreizehn Schülern in zwei Klassen eröffnet.

1919 feierte die deutsche Gemeinde das 100-jähriges Jubiläum der deutschen Ansiedlung in Georgien. In Hundert Jahren hatte die St. Petri-Pauli-Schule ca. 5 000 Kinder unterrichtet. Darunter waren sowohl Deutsche als auch Russen, Georgier, Armenier, Litauer, Esten, Polen, Juden, Griechen, Aserbaidshaner, Jesiden, Lesgier, Schweden, Norweger, Finnen, Engländer, Franzosen, Italiener, Amerikaner, Tschechen und Serben. In diesen hundert Jahren arbeiteten an der Schule 61 LehrerInnen, davon 32 Deutsche, 12 Russen, 7 Georgier, 3 Armenier, 2 Polen, 2 Franzosen, 1 Este, 1 Grieche, 1 Jude. 1818, ganz am Anfang, führte ein einziger Lehrer in einer Erdhütte den Unterricht für Kinder unterschiedlichen Alters durch, im Oktober 1918 stand an diesem Ort schon eine richtige Schule mit 10 Klassenstufen und 15 Pädagogen.

Als 1918 das Gymnasium seine Tätigkeit mit 13 Schülern aufnahm, hätten wahrscheinlich weder die Gymnasiumsverwaltung noch Enthusiasten sich vorstellen können, dass diese Bildungsanstalt ein so großes Interesse finden würde, und nicht nur von der deutschsprachigen Gemeinde. Das stellte das Gymnasium vor wesentliche wirtschaftliche und administrative Herausforderungen. In den ersten Jahren lief alles so gut, dass das Gymnasium sich nur an der Entwicklung orientierte. Die Schulleitung konnte sich wohl kaum vorstellen, dass lediglich in ein paar Jahren sowohl die politische Lage, als auch die Stellung der Deutschen im Kaukasus sich in einer dramatischen Weise verändern und eine so erfolgreiche Schule nur bis zum 1925 existieren würde.


Die 6-jährige Geschichte des Gymnasiums

Wie schon erwähnt, wurde das Deutsche Realgymnasium in Tbilissi 1918 während der Präsenz der deutschen Militärmission in Georgien und mit unmittelbarer Unterstützung deren Leiters, des Generals Kreß von Kressenstein, gegründet. Er begriff die kulturelle Bedeutung dieser Lehranstalt und soll den Gründungsprozess auf Regierungsebene gefördert haben. Kressenstein entsandte zur Unterstützung des Lehrprozesses auch zwei Personen aus der Belegschaft des Heeres zum Gymnasium. Einer von ihnen, Ingenieur Martin Jäkel, wurde bald Schuldirektor, der in dieser Funktion bis zur Schliessung des Gymnasiums blieb.

Der 1918 nur mit einer 5. und einer 6. Klasse eröffneten Schule wurde schon im nächsten Jahr die 7. Klasse hinzugefügt. Man begann auch Schüler anderer Nationalitäten aufzunehmen. Die 8. Klasse wurde 1920 eröffnet; zu dieser Zeit wurden im Gymnasium schon 77 Schülerinnen und Schüler unterrichtet. Im selben Jahr erhob die georgische Regierung das Gymnasium in den Rang einer staatlichen Lehranstalt. Nun wurden die Gehälter für das Schulpersonal teilweise aus der Staatskasse bezahlt. Immer mehr Jugendlichen, in erster Linie Georgier und Armenier, wollten im Deutschen Gymnasium lernen. Aus diesem Grund eröffnete die Gymnasiumsverwaltung spezielle Vorbereitungsklassen, wo die Jugendlichen mit geringen Deutschkenntnissen sich zum Lernen am Gymnasium vorbereiten konnten.

1920 ergriff das deutsche Realgymnasium eine neue Initiative, die auch von der georgischen Regierung unterstützt wurde. Weil es sowohl in den Schulen der Kaukasusdeutschen, als auch in georgischen und russischen Schulen, an denen Deutsch unterrichtet wurde, am Lehrpersonal mangelte, beschloss man eine pädagogische Klasse zu eröffnen, in der DeutschlehrerInnen ausgebildet werden sollten. Innerhalb eines Jahres unterrichtete man hier neben der deutschen Sprache auch pädagogische Fächer; die Unterrichtssprache war Deutsch. Der Klassenleiter wurde aus Deutschland erwartet. Nach dem erfolgreichen Abschluss der Qualifikationsklasse sollten sie berechtigt sein, an den sog. „Arbeitsschulen“, den ehemaligen Grundschulen, zu unterrichten.

1921 änderte der Einmarsch der Roten Armee in Georgien und die Errichtung der Sowjetmacht die Situation. Anfangs hatte die neue Sowjetmacht für die Schule anscheinend keine Zeit. Das war ein wichtiges Jahr für das Deutsche Realgymnasium. Im Juni wurden den ersten Absolventen ihre Zeugnisse der Mittleren Reife übergeben. Zum festlichen Abend waren viele Gäste eingeladen, Lehrerinnen und Lehrer, Eltern, Unterstützer des Gymnasiums und offizielle Persönlichkeiten, darunter der deutsche Gesandte in Georgien, Herr Ulrich Rauscher mit seiner Familie. Das Reifezeugnis erhielten 11 SchülerInnen, 6 Mädchen und 5 Jungen.

Die Verwaltung des deutschen Realgymnasiums beschwerte sich ständig über den Mangel qualifizierter Mitarbeiter, welche ab September 1920 eine bescheidene Entlohnung aus der Staatskasse bekamen. Deshalb versuchte Direktor Martin Jäkel unentwegt, aus Deutschland Fachkräfte und Mittel heranzuziehen.

Im August 1921 schrieb Dr. Jaekel an einen Unbekannten:

„Der Anfang des 4. Schuljahres steht vor der Tür und immer noch bin ich ohne Hilfe aus Deutschland . . .Ich glaube mich kaum zu täuschen, wenn ich vermute, daß wir als Deutsche z.Z. niergend auf der Erdrund soviel Sympathie genießen wie hier in Georgien. Für die deutsche Schule wird es kaum je noch einmal so günstige Verhältnisse geben wie gerade jetzt: Seit dem Einzug der Bolschewisten liegt das gerogisch-russische Schulwesen derart nieder, dass mir der Vorsitzende des Reformausschusses unumwunden zugab, dass der Erfolg des vergangenen Schuljahres gleich Null wäre. Oft genung habe ich aus dem Munde der Eltern, die Ihre Kinder ins Gymnasiumoder dessen Vorbereitungsklassen anmeldeten, die Äußerung vernommen: Außer der deutschen Schule wird im kommenden Schuljahr in keiner gearbeitet werden . . . Das unter solchen Verhältnissen der Andrang ins deutsche Gymnasium gross ist, bedarf keines weiteren Kommentars. Wenn mir Lehrer, Räume und Bänke hinreichend zur Verfügung ständen, so könnte ich hunderte von Schülern aufnehmen. “Das Eisen ist warm, man braucht es nur zu schmieden!“

1922, nach langem Warten, Briefwechseln, Dutzenden Anträgen und Begründungen bei den zuständigen Institutionen in Deutschland, entsandte das Deutsche Außenministerium neue Lehrkräfte nach Tbilissi. Das war für die deutsche Gemeinde und alle Unterstützer des Gymnasiums ein freudiges und wichtiges Ereignis. Zu ihnen gehörten die Lehrer für Deutsche Literatur und Geschichte des Mittelalters Friedrich Baumhauer und Erich Winguth und die Lehrerin für Deutsche Sprache, Geschichte und Geographie Margarete Winguth.

1922 veröffentlichte die „Kaukasischer Post“ einen Brief von Martin Jäkel, wo er über die Notwendigkeit der Gründung einer georgisch-deutschen technischen Schule schrieb. In der Epoche der Industrialisierung waren neue Berufe und Fachkräfte gefragt. Deshalb wurde nach langen Beratungen mit der zuständigen Kommission der Tbilisser Staatlichen Universität und dem Volkskommissariat für Bildungswesen beschlossen, zum akademischen Jahr 1922-1923 eine deutsch-georgische technische Schule zu eröffnen, deren Ziel die Erziehung der Handwerker, Straßenbauarbeiter sowie alle Arten von Technikern sein sollte. Die technische Schule sollte 4-jährig sein. Für Schüler ohne Deutschkenntnisse wollte die Schulleitung eine Vorbereitungsklasse anbieten.

Ab 1922 begannen auch die Änderungen im schulischen Leben. Die Schule wurde dem Volkskommissariat für Bildung untergeordnet. Als erstes wurde im Lehrplan die Religionsstunde gestrichen und stattdessen „Grundlagen der politischen Ökonomie“ eingeführt. Für die deutsche Gemeinde und Schulleitung war das ein grosser Schlag, man musste sich aber an die neuen Spielregeln anpassen.

1923 haben mehrere georgische Eltern, die ihre Kinder für die Vorbereitungsklasse des Gymnasiums einschreiben wollten, gefordert, eine Parallelklasse auf der rechten Uferstrasse der Kura zu eröffnen, um den sehr langen Schulweg zu verkürzen. Die Regierung stimmte dieser Forderung zu, von nun an fanden die Deutschstunden in Klassenzimmern des Georgischen Gymnasiums statt.

Nach und nach wurde auch das Verfahren der Schüleraufnahme geändert. 1924 hieß das Deutsche Gymnasium zu Tiflis schon „das Technikum N 21“, der Direktor war immer noch Martin Jäkel; In das Technikum, die Arbeitsschulen und Kindergärten wurden die Kinder nach dem sozialen Status ihrer Eltern aufgenommen. Die Aufnahmekommission setzte sich aus Leitern des Komsomol[1], der Gewerkschaft und der Schulverwaltung zusammen; jeder einzelne Antrag wurde überprüft. Den Vorrang hatten Kinder des Proletariats, der Arbeiter und Bauern. Ihnen folgten Kinder der Gewerkschaftsmitglieder. Den Kinder der deutschen Geistlichen und Händler wurde die Aufnahme etappenweise verweigert. Die deutschen kulturellen Aktivitäten waren unter den Bedingungen der Sowjetmacht nur dann zugelassen, wenn sie im Kontext des Klassenkampfes und der Stärkung des internationalen Proletariats standen. Also konnte es nicht mehr so weitergehen, wie die Deutschen es gewohnt waren.

Im Jahre 1924 gab es schon 140 Schülerinnen und Schüler verschiedener Nationalitäten. Ungeachtet des guten Rufes der Schule, erlitt das Gymnasium in den Jahren 1924-1925 einen schweren Schlag: für die Sowjetmacht war jede Aktivität der Nationalen Gruppen insgesamt unannehmbar, besonders wenn es um die Gruppen mit ausgeprägtem religiösen Bestreben ging. Nach dem Aufstand im August 1924 verschärften sich die Kontrollen auf allen Gebieten, u. a. durch Bespitzelung. Die Agententätigkeit wurde vom Abwehrdienst der Sonderkommission der Transkaukasischen Föderativen Sozialistischen Sowjetrepublik geführt, der sog. „TscheKa“.

Zwar durften die am Gymnasium bestehende Klassen, die vor 1924 begonnen hatten, den Unterrichtsprozess abschließen, doch verbot man die Aufnahme neuer Schüler. Das Gymnasium sollte geschlossen werden. Gleichzeitig attackierte die Kommunistische Partei und ihre Deutsche Abteilung alle in Georgien existierenden deutschen Institutionen. Anfang 1924 wurden der Deutsche Nationalrat und der Aufsichtsrat der Schule aufgelöst, die Zeitung „Kaukasische Post“ musste ihr Erscheinen einstellen.

Nach der monatelangen Bespitzelung des Gymnasiums und dessen Mitarbeiter hatte man Berichte über die Pädagogen Jäkel, Baumhauer und Winguth gesammelt; in diesen Akten steht z. B., dass Jaekel über General Kreß von Kressenstein nach Georgien gekommen war, dass er nach seiner Gesinnung ein Monarchist sei und einer deutschen Gruppierung angehört, die sich in den Siedlungen und im Technikum mit antisowjetischer Tätigkeit befasse. Für verdächtig hielt die Ermittlung auch die Tatsache, dass Martin Jäckel den Kontakt zu General Kreß von Kressenstein nicht abgebrochen hatte; Beweis dafür war der während einer Haussuchung beschlagnahmte Brief.

Die Ermittlung besaß die Information, dass im Transkaukasus eine große deutsche Organisation aktiv war, die sich mit konterrevolutionärer Propaganda beschäftigte und die Siedlungen mit chauvinistischen Literatur belieferte. In der gleichen Akte ist zu lesen, dass Friedrich Baumhauer, deutscher Staatsbürger, Spezialist der klassischen und deutschen Philologie, zurzeit Lehrer des 21. Technikums, eine monarchistische und nationalistische Gesinnungen besaß. Bei den Schülern, unter denen viele Georgier waren, genoß er eine große Autorität; er beschäftigte sich mit der Sammlung und Systematisierung wissenschaftlichen Arbeiten und Forschungen im Transkaukasus und wollte sie als Buch herausgeben. Mit großer Wahrscheinlichkeit handele dieses Buch von politischen Fragen der sowjetischen Wirklichkeit. Er hatte enge Kontakte mit wissenschaftlichen Kreisen und führte einen verdächtigen Briefwechsel mit der „Militärvereinigung der Baltischen Staaten“, die von der Sowjetmacht bespitzelt wurde. Die Ermittlung war der Meinung, dass Baumhauer unter Jugendlichen antisowjetische Ideen verbreitete.

Auf Grund dieser Berichte wurden 1924 Martin Jäkel, Friedrich Baumbauer und Erich Winguth verhaftet, in ihren Wohnungen und an ihren Arbeitsplätzen fanden Hausdurchsuchungen statt, zahlreiche persönliche und schulische Dokumente wurden beschlagnahmt, unter ihnen Bescheinigungen und Quittungen, laut deren Jäkel vom Konsul Wesendock den Lohnzuschlag zur Verteilung unter Baumhauer und Winguth erhielt. Das war für die Ermittlung eine verdächtige Angelegenheit. Die Inhaftierten wurden der antisowjetischen Propaganda und Agententätigkeit beschuldigt. Ihre Freilassung wurde durch den Einsatz des deutschen Konsuls Wesendock und wegen ungenügender Beweise erwirkt, für Baumhauer und Wineguth nach 14 Tagen, für Jäkel nach 25 Tagen. Doch ihnen wurde nicht gestattet, ihre Lehrtätighkeit an der Schule fortzuführen. Sie waren gezwungen, 1925 das Land zu verlassen.

Diesen Sturm gegen die örtlichen deutschen Institutionen erklärte die deutsche Presse mit dem Missfallen, dass der August-Aufstand bei der russischen Seite erregte.

Nach Martin Jäkels Entlassung von der Funktion des Schulleiters wurde die Schule der kommunistischen Verwaltung unterstellt und zum Direktor ein aus dem Baltikum stammender Deutscher, Genosse Nickwitz, ernannt. Seine Arbeitsweise bewirkte in der Schule schon nach einigen Wochen Disziplinlosigkeit, was eine Konfliktsituation zwischen der Schulverwaltung und den Schülern hervorrief. Die Regierung hielt das für einen ausreichenden Grund, die Schule zu beseitigen. Am 15. Oktober 1925 wurde das Deutsche Technikum (Realgymnasium) vom „Narkompros“ d.h. Volkskommissariat für Bildungswesen geschlossen; die bestehenden Klassen wurden an eine Arbeitsschule und ein spezielles Technikum überführt.

Die Petri-Pauli Schule, die bereits Arbeitsschule hieß, bestand voraussichtlich bis zum Ende der 20er Jahre. Der Terror und die Repressionen der 1930er Jahre betrafen auch die deutsche Gemeinde. 1933 wurde die lutherische Kirche geschlossen und Richard Mayer, ihr letzter Pastor, festgenommen und höchstwarscheinlich erschossen.

1941 wurden im Einklang mit dem Befehl N 744 des Staatlichen Verteidigungskomitees der UdSSR „Über die Zwangsverschickung der Deutschen aus den Sowjetrepubliken Georgien, Aserbaidschan und Armenien“ die Deutschen nach Zentralasien deportiert.

1946 ließ man von deutschen Kriegsgefangenen die evangelisch-lutherische Kirche in Tiflis zerstören.

Die Beteiligung der deutschen Gemeinde am kulturellen und Bildungsleben dauerte über 100 Jahre und hätte noch länger gedauert, hätte es die Okkupation Georgiens 1921 nicht gegeben mit ihren tragischen Folgen. Mit dem Verschwinden der deutschen Siedlungen und der Deportation der deutschen Gemeinde ging in Tbilissi, das immer eine offene und multinationale Stadt war, eine wichtige Tradition der städtischen Kultur verloren und für lange Zeit geriet die Geschichte der Schulen und der deutschen Kulturinstitutionen von Neutiflis in Vergessenheit.

Das Wohnhaus von Pastor Mayer, das Gebäude des Realgymnasium und weitere Häuser, die mit der Geschichte der Deutschen in Georgien verbunden sind, kann man in Tbilisi bis heute finden. Aber nur die Wenigen wissen, welche Geschichten mit diesen Gebäuden verbunden sind.


[1]Der Komsomol - die Jugendorganisation der Kommunistischen Partei der Sowjetunion. Das Silbenkurzwort wird aus den Anfangssilben der Wörter Коммунистический союз молодёжи („Kommunistischer Jugendverband“) gebildet


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